Unser Hinnerstädtel – Opfer Jockgrimer Verkehrspolitik

Bei der Neujahrsansprache im Ziegelei-Museum wünscht der Verbandsbürgermeister Uwe Schwind  seinem „lieben Freund Jörg“ Scherer „ruhig Blut“, denn „die Verkehrsproblematik wird von den Anwohnern wieder in den Vordergrund gerückt“. Das war alles, was  zum Thema „Verkehr im Jockgrimer Altort“ in der gesamten Verbandsgemeinde offiziell gesagt wurde. Unser Ortsbürgermeister Jörg Scherer brachte bei seinem Grußwort ein paar Witzchen über unseren Bundespräsidenten hervor. Die Gäste des Neujahrsempfangs waren zufrieden.

Wir Anwohner im Altort Jockgrim, der Ludwigstraße und Maximilianstraße, sind es nicht. Hatten wir nicht im letzten Jahr in vielen Gesprächen mit Ortsbürgermeister, Verbandsbürgermeister und Gemeinderat die Dringlichkeit unseres Anliegens dargelegt – die Verkehrsbelastung von 4000 Fahrzeugen pro Tag in der engen Straße, kein Gehweg, der Schulweg der Kinder skandalös!

Wie kann es sein, dass wir hier als Anwohner auf die Barrikaden gehen und die offizielle Lokalpolitik uns nur widerwillig oder gar nicht zur Kenntnis nimmt. Das neueste Gespräch mit unserem Ortsbürgermeister passt da ins Bild. Sind das alles nur unglückliche Umstände, ein verzeihliches Versehen?

Vor jetzt 12 Jahren wurde mit der Ortsrandstraße (Teil I)  offiziell ein neuer, den Anforderungen gewachsener Zugang zum Jockgrimer Ortszentrum in Betrieb genommen, die Buchstraße. Das war tatsächlich eine Entlastung des Hinterstädtels. Nicht nur der Durchgangsverkehr, auch der Zielquellverkehr zum Ortszentrum (Bahnhof, Verbandsgemeinde, Ziegeleimuseum) orientierte sich langsam um. Doch im Herbst letzten Jahres stellten wir überrascht von Mai bis Oktober eine Verkehrszunahme von fast 10% in der Ludwigstraße fest. Und das nach Fertigstellung der Ortsrandstraße Teil II.  Was war passiert? Mit der Herausnahme der Kreisstraße K10 aus Jockgrim wurde die Buchstraße kurzerhand zur verkehrsberuhigten Zone erklärt, Tempo 30 und Rechts vor Links. Eine Anbindung einer 7000-Seelen Gemeinde an das Verkehrsnetz sollte anders aussehen. Und der Verkehr reagiert auf seine Weise, er fließt den Weg des geringsten Widerstandes.

Machen wir einen Praxistest für den Autofahrer, mit einem aktuellen Routing-Programm. Sicher sind Routing-Programme für Autofahrer  keine verbindlichen Fahrhinweise, aber sie spiegeln tatsächliche Verkehrsgegebenheiten und die offizielle Nutzung des Straßennetzes wider. Nebenstraßen werden vermieden. Befragt man http://maps.google.de/ nach dem Weg von Karlsruhe zum Jockgrimer Ziegeleimuseum, wird man heute (31. Januar 2012) durch Hinterstädtel und Bahnhofstraße geführt! Die Strecke ist 300 Meter länger als die Strecke über die Buchstraße. Noch vor einem halben  Jahr wurde die Strecke mit Ziel „Ziegeleimuseum in Jockgrim“ über die Buchstraße geroutet. Auch das sind Konsequenzen der Jockgrimer Verkehrspolitik.

Jockgrimer Verkehrspolitik =
Verkehrsberuhigung in Jockgrim auf Kosten des Hinterstädtels.

Gespräch mit BM Scherer am 30.01.2012

Ich habe Herrn Scherer heute in seiner Sprechstunde aufgesucht. Erfahren wollte ich, was sich in Sachen Verkehrsberuhigung seit dem letzten Spätjahr getan hat. Der Planer, Herr Ferrero, sollte sich ja um Beruhigungsmöglichkeiten für den gesamten Straßenverlauf, einschl. Maximilianstraße, kümmern. Und Herr Scherer wollte mit Herrn Ertel vom LBM (Landesbetrieb Mobilität) reden.

Doch das Gespräch mit unserem BM war so höflich wie ernüchternd:

Herr Scherer hat mit Herrn Ertel gesprochen. Konkrete Ergebnisse: keine. Ob die Wilhelmsruhe zur abknickenden Vorfahrt umgebaut wird – noch nicht bekannt. Ob im Bereich des bereits 2007 erneuerten Straßenabschnitts im Hinterstädtel weitere kleine Maßnahmen (wie die Bordsteinerhöhung am LSP) denkbar sind – unklar, solange Herr Ferrero unsere Vorschläge noch nicht geprüft hat. Und einschneidende Maßnahmen wie Gehwegverbreiterung in diesem Bereich – natürlich nicht denkbar. Ob ab Stegenbergweg bis zum Kinderhort breitere Gehwege gebaut werden können – keinesfalls, die sind ausreichend. Ob in der Maximilianstraße Beruhigungsmaßnahmen erfolgen sollen – unklar, solange Herr Ferrero unsere Vorschläge noch nicht geprüft hat. Ob am Torberg die Kurve rückgebaut/verschwenkt werden kann – denkbar, wenn die Ortsgemeinde bezahlt (hierfür soll es einen Ortstermin mit dem LBM geben).

Und betreffend Herrn Ferrero: Es ist unbekannt, ob er den ihm erteilten Auftrag hins. der Ludwig-/Maximilianstraße schon erledigt oder auch nur begonnen hat. Einen Termin zur Ablieferung eines Gutachtens hat er nicht erhalten. Ob er mit uns von der AG Altort sprechen wird – unbekannt. Wenn sein Vorschlag vorliegt, wird dieser mit Herrn Ertel diskutiert. Von einer Einbindung der Bürgerinitiative war nicht die Rede.

Ob die Geschwindigkeitsmess-/-anzeigetafel mal wieder an den Nepomuk kommt – ja, aber wann ist unklar.

Dass die Polizei letztes Jahr nur 1 x in der Ludwigstraße gemessen hat (siehe die Übersicht Radarkontrollen im entsprechenden Artikel im Blog) – war nicht bekannt. Beim runden Tisch mit der Polizei im März wird Herr Scherer den Leiter der PI Wörth auf die Kontrollen ansprechen.

Fazit: Ich glaube, es ist gut, wenn wir durch Transparente und Protestkehren und… den Druck aufrecht erhalten. Kommentare willkommen.

Flagge zeigen!

Seit Samstag, 28. Januar 2012, hängen in unseren Straßen Transparente. Und es werden noch mehr. So kann jeder Autofahrer (Fußgänger verirren sich ja aus Sicherheitsgründen selten ins Hinterstädtel) unsere Botschaften sehen. Hier ein paar Kostproben:

 

Radarkontrollen

Wie jedes Jahr habe ich die Tabelle der polizeilichen Radarkontrollen in Jockgrim angefordert und von der VG erhalten:Radarkontrollen Jockgrim 2011

Wie man sieht, wurde in der Ludwigstraße im ganzen Jahr ein einziges Mal gemessen!

Da hat es sich allerdings gelohnt: Maximalgeschwindigkeit 56 km/h, 30 Verwarnungen und eine Ordnungswidrigkeitenanzeige. Das zeigt, dass es bitter nötig wäre, hier öfter zu messen. Die Polizei hat leider nur sehr begrenzte Ressourcen.

Wir haben bereits mehrfach von der Ortsgemeinde gefordert, uns in unserem Anliegen zu unterstützen, dass die Polizei hier öfter kontrolliert. Die Polizei in Wörth selbst reagiert auf entsprechende Schreiben, die ich schon mehrfach dorthin geschickt habe, nie.

Wie sonst auch: Unterstützung durch die Ortsgemeinde? Fehlanzeige.

Prosit Neujahr 2012

Jahreswechsel im Hinterstädtel 2011/12
Jahreswechsel im Hinterstädtel 2011/12

Wie überall wurde auch im Hinterstädtel mit Korkenknallen und Feuerwerk das neue Jahr begrüßt. Das ist auch die Zeit für eine Rückschau auf das Jahr 2011 aus der Sicht der AG Altort.

Gestartet ins Jahr 2011 sind wir mit Optimismus, hatten wir doch mit vereinten Kräften im alten Jahr 2010 die Busse des Schienenersatzverkehrs aus dem Altort herausbekommen.

Unser Positionspapier „Status quo, Unsere Ziele, Vorschläge zur Umsetzung“ war Grundlage der Gespräche mit Ortsbürgermeister Scherer und den Fraktionssprechern des Gemeinderats im Mai und Juni.  Die Herausnahme der Landesstraße aus der Ludwig- und Maximilianstraße war einer unserer zentralen Punkte. Das Gespräch verlief in guter Atmosphäre. Einem  für die Gemeinde arbeitendem Verkehrsplaner werde die Prüfung der Rechtslage und der Möglichkeiten der Umsetzung übertragen – so hieß es damals. Wir haben angeregt, dass sich ein Verwaltungsrechtler mit den Rechtsfragen befasst.

Nach den Sommerferien, am 1. September: die erste Gemeinderatssitzung. Auf der Tagesordnung TOP 1: Verkehrsberuhigungsmaßnahmen in der Buchstraße und Unteren Buchstraße. Erst auf Nachfrage erfahren wir, dass unter diesem Punkt auch die Abstufung der Maximilian- und Ludwigstraße behandelt werden soll. In der öffentlichen Sitzung dann die Ausführungen eines Planers vom Büro KUG Ingenieure, Ludwigshafen. Er stellt  Folgendes fest: Von einer Änderung der Situation der Ludwigstraße im Hinterstädtel rate er ab. Eine Abstufung wäre möglich, aber nicht ratsam, weil zu teuer – und außerdem verlagere das ja nur den Verkehr in die (Untere) Buchstraße nach dem „St.-Florians-Prinzip“.  Am 21. September bei unserem direkten Gespräch mit dem Planer stellten wir fest, das dieser unser Problem nicht einmal wahrgenommen hatte. Von Kenntnis des Dorfentwicklungsplanes, von Detailkenntnis in unserer Straße keine Spur. Er wusste nichtmals, dass nicht der ganze Ort „Zone 30“ ist, sondern der Großteil der Duchgangsachse unserer Straßen eine Beschränkung auf 50 km/h besitzt.

Weitere, vom Planer nicht untersuchte Möglichkeiten einer Verlegung der Landesstraße aus dem Altort werden einfach ignoriert, darunter auch eine weitgehend kostenneutrale Alternative. — Wieder eine Chance vertan.

Am 15. November Versammlung im Bürgerhaus. Mit einem Anwohnerbeschluss haben wir unsere Forderungen und Gedanken zur Umsetzung dargestellt und verbreitet. Der Ortsbürgermeister legte dazu seine Sicht dar – sichtbar verärgert über den Anwohnerbeschluss (oder die Rheinpfalz-Berichterstattung darüber?). Zusammengefasst im Bericht der Rheinpfalz:  „Argumente gegen Ideen … Scherer geht auf die Forderungen von Anwohnern der L540 (Maximilianstraße und Ludwigstraße) ein. Es hagelt Gegenargumente… „. So haben wir uns einen Dialog nicht vorgestellt.

Das Jahr schließt für uns mit den ersten Protestaktionen im Dezember mit Presseerklärung. Die Aktionen:  Be- und Entladen an der Straße und das gemeinsame Protestkehren. Die Aufmerksamkeit der Presse war uns sicher, sogar ein Radiobericht (SWR4-2011-12-17) wurde gesendet.  Und so war dann doch zum Jahresausklang ein kleiner Funke Optimismus zu spüren.

Erneut Protestkehren im Hinterstädtel am 23. Dezember

Unser  zweites Protestkehren im Altort fand  am 23.12. um 16 Uhr statt. Wir, die Anwohner,  protestieren gegen die Nutzung der Ludwigstraße, der Maximilianstraße, des Hinterstädtels als Hauptverkehrsachse für Jockgrim und Rheinzabern! Im Augenblick sind in Jockgrim die einzigen klassifizierten Straßen die Maximilianstraße und die Ludwigstraße mit dem Hinterstädtel. Ausgerechnet die Straßen, die am wenigsten dafür geeignet sind! Angesichts der unmöglichen Zustände gerade auch für den Schulweg ist das unhaltbar! Der Jockgrimer Gemeinderat muss sich endlich dafür einsetzen, dass die Landesstraße aus dem Hinterstädtel heraus kommt. Es gibt verschiedene Alternativen für eine Lösung, u.a. auch eine Jockgrim-interne Lösung. Hier eine Übersicht der Alternativen auf der Karte. Diese Alternativen können kurzfristig umgesetzt werden. Darin ist eine gute Alternative – Ausbau des Wiesenwegs in Rheinzabern und Verlegung der Landessstraße auf diesen Zubringer zur B9 – noch gar nicht erfasst.

Statt dessen wird die – eigentlich als klassifizierte Straße geeignete – Achse der (Unteren) Buchstraße weiter verkehrsberuhigt. Mit dem Nebeneffekt, dass der Altort wieder ein Stück mehr belastet wird.

Deshalb: Die Landesstraße muss raus aus dem Altort!

Adventsfenster Nr. 23

Zum Abschluss der Adventszeit wurde es noch einmal gemütlich im Hinterstädtel. Bei wärmendem Feuer und weihnachtlichem Gesang, Kinderpunsch und Glühwein wurde in der  Ludwigstraße 15 das dreiundzwanzigste Adventsfenster geöffnet. Danke an Daniela und Norbert!

Adventsfenster Nr. 23 , Ludwigstraße 15
Adventsfenster Nr. 23 im Hinterstädtel

Die Darwinstraße

Dieser Beitrag ist vor allem für Interessierte gedacht, die die Ludwigstaße nicht live vor der Haustür haben. Meine Mitblogger wissen, wovon ich schreibe.

Als ich vor zehn Jahren in die Ludwigstraße umzog, war sie bereits  reichlich belebt. Ich nahm das  in Kauf – es gefiel mit hier so gut, ich wollte bleiben. Die Straße war halt eine kleine Herausforderung am Rande; das muss man sportlich nehmen, fand ich. Kein Problem für mich damals, ich war Mitte 30 und hatte keine Kinder. Ich dachte nur so weit, wie mancher Entscheider in Sachen Verkehrsführung es wohl auch tut: Bis zu meiner eigenen Grundstücksgrenze.

Heute habe ich einen Sohn, der in die Grundschule geht. Das tut er richtig gerne zu Fuß. Und das, obwohl sein täglicher Schulweg ein aberwitziger Hürdenlauf ist. Stehen Mülltonnen oder andere Hindernisse im Weg, müssen er und seine Schulfreunde vom Gehweglein auf die Straße. Im Winter laufen die Kinder also bei Dunkelheit auf der Straße rum. Weil es nicht anders geht. Und dort herrscht praktisch ungehindert das Recht des Stärkeren.  Es gäbe ja Möglichkeiten,  den motorisierten Straßennutzern zu signalisieren: – Achtung, hier sind Kleine unterwegs, und die brauchen eure besondere Rücksicht. Aber diese Möglichkeiten bleiben ungenutzt. Jeden Morgen von 7 Uhr 30 bis 8 Uhr wird uns besonders bewusst, was hier fehlt.

Unsere Schule ermutigt uns Eltern ja eigentlich ganz zu Recht, unsere Kinder zu Fuß auf den Schulweg zu schicken: Viele Jockgrimer Kinder genießen einen relativ sicheren Schulweg. Zum Glück. Und genau das wollen wir demnächst auch von unserer Straße sagen können.

Eine Schulbus-Haltestelle gibt es für uns übrigens nicht.

Ich selbst durfte meine Straße  vor drei Jahren mal aus einer ganz neuen Perspektive kennen lernen: Ich gehörte einige Monate lang zu den so genannten „mobilitätseingeschränkten“ Menschen. Verletzungsbedingt war ich recht langsam und wackelig unterwegs. Zu Fuß gehen sollte ich aber, meinte der Arzt. Alla gut. Das hat mein Bewusstsein geschärft. Ich habe am eigenen Leib erlebt was passiert, wenn man diese Straße nutzt, ohne zu 100 Prozent fit zu sein.

Ich erfuhr, wie es so ist, wenn man ungeschickt versucht, ein Hindernis zu umgehen  – und dabei selbst zum Hindernis wird. Es fehlt ja weiß Gott nicht an Schikanen, an denen man sich hier vorbeiquält. Vom unvermeidlichen Abfall bis zum frech hingegrätschten Privat-PKW.  Ich hatte mehrfach das zweifelhafte Vergnügen zu erleben, dass zwischen mich selbst und die weniger achtsamen Motorisierten höchstens noch ein flaches Handtäschchen gepasst hätte. Dabei habe ich Hupen in vielen Tonarten und Unflat in mehreren Stimmlagen kennen gelernt. Weil ich einfach nicht schnell genug wieder vom Straßenrand wegkam! Radfahren durfte ich auch. Nun weiß ich also auch, wie es sich anfühlt, wenn man sehr bedächtig und etwas kippelig aufs Fahrrad steigt, während der viel zu schnelle Verkehr im Sekundentakt an einem vorbeirauscht.

Fazit: Es ist auf die Dauer einfach zu aufreibend. Man bleibt immer öfter  daheim, auch wenn viel zu erledigen wäre. Man wird übellaunig und fühlt sich behindert. (Doch wir wissen ja: Behindern ist heilbar.) – Für Rollator-Nutzer oder gar Rollstuhlfahrer dürfte sich das ganz ähnlich anfühlen. Nur extremer.

Ich hätte damals vor drei Jahren natürlich versuchen können, auch dieses kurzfristige Handicap sportlich aufzufassen. Das wollte ich aber nicht. Ich will selbst entscheiden, wo ich meine Herausforderungen suche, und Nahverkehrs-Survival ist nun mal nicht mein Ding. Das habe ich jetzt eingesehen.

Ich habe tolle Nachbarn und will schon allein deshalb hier bleiben, vielleicht sogar bis ich alt bin. Ich will, dass mein Sohn jeden Tag gesund zur Schule und zurück kommt. Deshalb mache ich gerne  bei den Aktionen der AG Altort mit.

So lange hier aber noch Survival angesagt ist – survival of the fittest – heißt meine Straße für mich bis auf weiteres: Die Darwinstraße.